Anita setzt sich als Aktivistin leidenschaftlich gegen Ungerechtigkeiten und für Apuliens Olivenbäume ein. Ich treffe sie in Galantina, einer kleinen Stadt im Salento. Bei einer neapolitanischen Pizza sprechen wir über ihr Engagement und ihr Jura-Studium, das sie mit über 60 Jahren angefangen hat.
„Ich muss das tun, sonst kann ich nicht leben.“
Anita reist zu Mafia-Prozessen nach Palermo und schützt die Olivenbäume Apuliens vor Immobiliendeals. Noch am Samstag protestierte sie mit einem Plakat in der Hand vor dem neu eröffneten McDonald’s in ihrer Heimatstadt.
Ciao Anita, du bist Aktivistin und setzt dich gegen Missstände ein. Warum engagierst du dich?
Ich ertrage Ungerechtigkeiten einfach nicht. Ich tue es in erster Linie für mich. Wenn du es nicht für dich tust, hilft das niemandem. Ich habe gemerkt, dass es mir nur gut geht, wenn es den anderen auch gut geht. Geht es den anderen schlecht, geht es dir am Ende auch schlecht.

Anita engagiert sich für den Erhalt der Olivenbäume in Apulien. Foto: privat.
Du setzt dich unter anderem für den Erhalt der Olivenbäume in Apulien ein. Was ist dir bei deinem Engagement besonders wichtig?
Es geht mir nicht nur um die Bäume, sondern auch um Bildung – besonders die menschliche Bildung. Momentan liegt der Fokus fast nur auf technologischer Bildung – das ist für uns Menschen sehr problematisch. Die Natur braucht uns nicht, wir aber brauchen die Natur. Sie ist stark und wird den Menschen überleben. Deshalb müssen wir die Olivenbäume schützen – wir sind von ihnen abhängig.
Seit wann engagierst du dich politisch und sozial?
Das begann mit etwa zwölf Jahren da habe ich Ungerechtigkeiten zum ersten Mal bewusst wahrgenommen und angefangen, mich zu wehren. Früher ging ich wütend auf Demonstrationen, heute gehe ich mit Freude – weil ich spüre, dass ich etwas verändern kann. Wer Humanität leben will, sollte das mit Freude tun.
Mir ist es wichtig, dass Menschen Verantwortung für sich übernehmen und nicht in einer Opferrolle verharren. Jeder sollte wissen, was er braucht, um gut zu leben. Und ich habe gemerkt: Wir können auch als kleine Steine ein großes Räderwerk blockieren.
Gewalt in der Partnerschaft ist auch in Italien ein Thema. Laut Statistiken wird im Durchschnitt alle drei Tage eine Frau ermordet. Du sprichst dabei über Verantwortung der Eltern. Was meinst du damit?
In Italien gibt es viele Fälle von Gewalt in Partnerschaften. Ich sehe vor allem die Mütter in der Verantwortung. Meistens sind sie es, die die Jungen erziehen. Fehlt das Vertrauen, entsteht Angst. Und Angst kann später in Aggression umschlagen. Wut entsteht oft aus der Angst, etwas zu verlieren. Eltern tragen viel Verantwortung dafür, wie ihre Kinder später mit Angst umgehen.
Du sagst, Leid gehört zum Leben. Wie meinst du das genau?
Heute will man Leiden unbedingt vermeiden. Aber es gehört zum Leben dazu. Es ist ein Teil des Menschseins: Zu leiden, zu akzeptieren und zu sehen, dass es vorbeigeht.
Wie siehst du deine Rolle als Frau in der italienischen Gesellschaft?
Ich bin keine klassische Feministin. Wir sind nicht alle gleich, und genau das ist wertvoll. Unterschiede ermöglichen Austausch, Lernen und Wachstum.
Am Anfang unserer Beziehung sprach mein Mann zum Beispiel beim Filmeschauen immer nur über Licht, Ton oder technische Details, während mich die Geschichte interessierte. Ich dachte, wir hätten nichts gemeinsam. Heute sehe ich, dass wir uns ergänzen. Es war viel Arbeit, dahin zu kommen, aber wir haben voneinander gelernt.
„Darf“ eine Frau in Italien älter werden?
Ich finde schon. Ich bin jetzt 62 und sehe das als gutes Alter. Neugierig zu sein, hält den Stress, Falten zu bekommen, fern. Sich selbst zu lieben, Fehler zu akzeptieren und daran zu wachsen, ist unglaublich wichtig.
Letztes Jahr habe ich ein Jura-Studium an der Uni Lecce begonnen, um Ungerechtigkeiten besser zu verstehen. Meine Freunde sagen, ich bekomme nun endlich einen Titel für das, was ich schon immer mache. Aber mir geht es nicht um den Abschluss, sondern um das Verständnis. Für mich ist das eine Offenbarung: Endlich kann ich Dinge tun, die ich mit 20 Jahren nicht tun konnte.
Was fällt dir bei jungen Frauen heute auf?
Viele suchen Perfektion und alle wollen gleich sein. Sie erkennen ihren eigenen Wert nicht, tragen Masken, um anderen zu gefallen. Dabei ist gerade die Unterschiedlichkeit das, was uns reich macht. Wir folgen alle einer Welle, passen uns an und verlieren dabei unsere Individualität – wir verschmelzen mit der Masse.
Für viele Touristen ist Italien das Land ihrer Träume. Was glaubst du, warum das so ist?
Italien verbindet viele Kulturen, hat eine reiche Geschichte, Kunst und Dichter. Doch die Geschichte hat auch Schattenseiten: Die Römer haben sich genommen, was sie wollten – ähnlich wie moderne Mächte. Wir feiern Entdeckungen, dabei gab es aber häufig Gewalt und Eroberung.
Trotzdem: Italien hat eine reiche Natur, ein gutes Klima, Sonne, Meer, Berge – alles, was das Leben schön macht. Wir müssten bewusster damit umgehen, statt es zu zerstören.
Ich werde weiter dafür kämpfen, dass wir mehr Bewusstsein schaffen, damit auch meine Enkel eine gute Zukunft haben.
Info
Die Stadt Galatina liegt in Apulien auf halbem Weg zwischen Lecce und Gallipoli. Sie gilt als eine der schönsten Kunststädte im Salento. Im historischen Zentrum stehen die berühmte Basilika Santa Caterina di Alessandria und eine der wichtigsten Kirchen des Landes, die „Chiesa dei Santi Pietro e Paolo“.
Ich war leider nur abends dort, aber habe eine lebendige Stadt mit verschlungenen Gassen, schönen Plätzen und Bars gesehen, die ich auch tagsüber gerne einmal besuchen möchte.


